1. Ursprung
„Was willst du heute schaffen?“ „AB 15.“ „Warum?“ „Weil ich es noch nicht gemacht habe.“ „Bist du mit dem, was du heute geschafft hast, zufrieden?“ „Ja.“ „Warum?“ „Ich habe heute in einer Stunde vier ABs geschafft, so gut war ich noch nie.“ „Warum hast du die ABs gemacht?“ „Sie fehlten mir noch in meinem Arbeitsplan. Jetzt bin ich fertig.“
So oder so ähnlich verlaufen viele Gespräche zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen (SuS). Das Bearbeiten von Arbeitsblättern oder Aufgaben in Schulbüchern ist für viele Lernende ein bzw. das einzige Ziel im Unterricht. Es ist Selbstzweck. Je mehr sie davon schaffen, desto zufriedener wirken sie. Ich habe dann häufig das Bild von holzfällenden Kindern, die Arbeitsblätter bearbeiten, wie Holzfäller einen Wald roden.
(Bild erstellt von Victoria Borodinova und steht unter der Pixabay-Licence)
Es gibt nur nicht das Berufsbild des „Arbeitsblattausfüllers“. Anscheinend trägt Schule dazu dabei, dass Lernende den Eindruck gewinnen mit der Bearbeitung von Arbeitsblättern oder anderen vorgegebenen Aufgabenstellungen alle Bildungsziele erreicht zu haben. Dabei finde ich es nicht verwerflich Arbeitsblätter oder Aufgabenstellungen aus anderen Medien im Unterricht einzusetzen. Es wird nur dann zum Problem, wenn die Lernenden gar nicht wissen, warum sie die eigentlich machen (sollen).
2. Erste Version des Ivi-Teamboards
Diese Überlegung war Ausgangspunkt für die Entwicklung des Ivi-Teamboards. Idee war und ist, dass Schüler*innen mehr Verantwortung bei der Planung ihrer Unterrichtsstunden bekommen. Sie sollen wissen, was Ziele der Unterrichtseinheit sind und welche Materialien ihnen zur Verfügung stehen, um diese zu erreichen. Und zwar zu Beginn der Einheit. In Kooperation mit Arne Sorgenfrei entstand die erste Version des Teamboards und einer möglichen Unterrichtsstruktur, wenn man mit diesem arbeitet. Inspiriert wurde unsere Überlegungen von der Idee des agilen Lernens und EduScrum.
Nach unseren ersten Planungen und dem Einsatz im Unterricht habe ich folgendes Erklärvideo erstellt, in dem aufgezeigt wird, wie mithilfe dieser Methode Unterricht strukturiert werden kann. Im Unterricht habe ich das Ivi-Teamboard zuerst in zwei 5. Klassen (Stadtteilschule) im Fach Deutsch zum Thema „Tierbeschreibungen“ eingesetzt. In folgender Abbildung sind man die erste von insgesamt zwei Seiten mit Zielen, Aufgaben und Materialien.
(Abbildung 1: Teamboard (Seite Ziele (1)) zur Unterrichtseinheit „Tierbeschreibungen“)
Vor Beginn der Einheit habe ich alle Arbeitsmaterialien erstellt und jedem Kind einen Reader zusammengestellt. Kopieren musste ich also in der kompletten Einheit nicht mehr, im Schulalltag ein echter Gewinn. Das Teamboard habe ich mit folgender „Punkte-Skala“ auf A3 kopiert und an eine Stellwand gepinnt, sodass der Bearbeitungsstand für alle immer sichtbar war.
(Abbildung 2: Teamboard (Seite Bearbeitungsstand) mit neun Punkten und einer gemeinsamen Skala pro Team)
3. Erfahrungen im Unterricht
Folgende Erfahrungen habe ich gesammelt:
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Einige SuS waren geradezu schockiert, dass ich ihnen nicht mehr gesagt habe, was sie in der Stunde machen sollen. Eine Schülerin stellte mir äußerst kritisch die Frage, was ich eigentlich für ein Lehrer sei. Es wäre doch mein Job, ihr zu sagen, was sie machen soll.
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Einzelne SuS fragten mich auch am Ende der Einheit noch, was sie in der Stunde machen sollen.
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Die Spalte „Aufgaben“ war für die SuS entscheidend und die Spalte „Ziele“ eher nebensächlich.
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Auf die Frage im „Stand-Up“, was sich die einzelnen Teams vornehmen wollen, kam meist etwas wie „Wir möchten AB X und Y schaffen“.
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Die neun Punkte im Teamboard mit den Kategorien „Bearbeitung“, „Feedback“, „Überarbeitung“, „Fertig“ und „Expert*in“ waren zu viel. Ich musste permanent Schüler*innen daran erinnern, die entsprechenden Markierungen am Teamboard vorzunehmen.
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Es erwies sich als schwierig, dass die Teampartner*innen nur eine gemeinsame Spalte hatten. So fühlten sie sich gezwungen im Gleichschritt zu arbeiten.
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Einige Schüler*innen haben die Möglichkeit des Feedback zu erhalten schnell als sinnhaft und förderlich empfunden, andere kamen bis zum Ende der Einheit kaum zum Feedbackgespräch.
4. Erste Überarbeitung
Nach diesen Erfahrungen habe ich die Arbeit für die nächsten Einheiten „Märchen“ und „Wortarten“ modifiziert. Von den neun Punkten des Teamboards sind lediglich drei Punkte übrig geblieben (Bearbeitung, Feedback und Fertig). Geblieben ist die Möglichkeit ein Kreuz in das Feld „Fertig“ zu machen und somit einen „Expertenstatus“ zu erlangen.
(Abbildung 3: Teamboard (Seite Bearbeitungsstand) mit drei Punkten und einer Skala für jeden Lernenden)
Wenn Lernende im Feedback noch Unsicherheiten/Lücken hatten, holten sie sich zu einem späteren Zeitpunkt erneut Feedback. In der ersten Einheit zu Tierbeschreibungen habe ich immer den Stand auf dem Teamboard im Blick gehabt und bin dann zu den SuS gegangen, die Feedback haben wollten. In dieser Einheit habe ich eine Liste ausgelegt, auf der die SuS ihren Namen eintragen konnten, wenn sie Feedback wollten. Ich blieb dadurch meist an meinem Beratungstisch und die SuS kamen zu mir. Während ich in der ersten Einheit mein Feedback eher aufgedrängt habe, war ich in der zweiten Einheit meist durchgehend in Gesprächen. Mein Eindruck war, dass die SuS mein Feedback zunehmend als wertvolle Ressource wahrgenommen haben. Gerne haben sich SuS auch Feedback von anderen Lernenden geholt, wenn diese Expert*innen in einem Gebiet waren.
Das Teamboard habe ich zudem so verändert, dass jeder Lernende in einer gemeinsamen Teamspalte eine eigene Punkteskala hatte. Aufgaben konnten gemeinsam oder alleine bearbeitet werden. Der Teampartner bzw die Teampartnerin waren immer erster Ansprechpartner*in, es konnte aber auch mit anderen Lernenden an einem Ziel gearbeitet werden.
Im Laufe der Einheit wurden Abläufe routinierter, dennoch blieb es schwierig das Teamboard immer auf dem aktuellen Stand zu haben. Es stellte sich auch als ungünstig heraus, dass Lernziele, Aufgaben und Materialien nur über den Aushang an der Stellwand mit dem Teamboard einsichtig waren. Viele SuS hatten nicht die Ruhe genau zu lesen bzw. hatten viele Dinge vergessen, wenn sie wieder an ihrem Platz waren. Deshalb habe ich die Übersicht der Ziele für alle SuS auf A4 kopiert, sodass sie immer in ihrer Mappe darauf zurückgreifen konnten.
5. Weitere Überarbeitungen
Die nächste größere Überarbeitung habe ich dann für die Einheit Satzglieder vorgenommen. Bei einer Schülerin hatte ich gesehen, dass sie in ihrer Zieleübersicht eine Spalte mit dem Bearbeitungsstand jedes Bereiches eingefügt hatte, um für mehr Übersichtlichkeit zu sorgen. Eine sehr gute Idee, die ich für die Einheit „Satzglieder“ übernommen habe.
(Abbildung 4: Teamboard (Seite Ziele 1) zur Unterrichtseinheit Satzglieder)
In der Zielübersicht habe ich die Spalte „Aufgaben“ gestrichen, um mehr den Fokus auf die Ziele zu lenken. Die Ziele habe ich deutlich operationalisierter formuliert. Statt „Du kennst dich mit dem Prädikat aus“ lautete das Ziel “ Du weißt, was ein Prädikat ist und wie du es in einem Satz finden kannst. Du kennst die Frage, mit der du das Prädikat findest usw.“ Um den SuS eine Hilfe zur Planung ihrer Unterrichtsstunde zu geben, habe ich das AB „Mein Plan“ erstellt.
(Abbildung 5: Planungspapier „Mein Plan“)
6. Ablauf im Unterricht
Eine Doppelstunde sah dann in der Regel so aus:
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Wiederholung
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Teamplanung (Stand Up)
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Tagesplan ausfüllen
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Arbeitszeit
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Rückblick / Teambesprechung
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Ziele erreicht / zufrieden?
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Eintrag einer Hausaufgabe
Auf ein „öffentliches“ Teamboard an einer Stellwand habe ich in dieser Einheit verzichtet. Das ging auf der einen Seite auf Kosten meines Überblicks über den Gesamtbeabeitungsstand, hat auf der anderen Seiten den „administrativen“ Aufwand für die Lernenden (und mich) deutlich reduziert. Zugleich habe ich feste Teampartner aufgelöst. Die SuS konnten immer frei entscheiden, ob sie alleine oder mit einem Partner ihrer Wahl arbeiten wollten und das hat sich in meinem Unterricht bewährt.
7. Ivi-Board
Der Name Teamboard war jetzt nicht mehr passend und das Ivi-Board wurde geboren. Gerade unterrichte ich in Klasse 6 Fabeln und das aktuelle Ivi-Board hat keine entscheidenden Veränderungen mehr.
(Abbildung 6: Teamboard (Seite Ziele 1) zur Unterrichtseinheit Fabeln)
8. Fazit
Was hat sich für mich, meine SuS und Unterricht positiv verändert?
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Ich rede viel mehr mit den SuS und genau zu den Zeitpunkten, wo SuS Feedback brauchen.
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Frontale Phasen gibt es kaum noch, nur zu Beginn wiederhole/problematisiere ich Dinge.
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Vertretungssitutionen sind in meinen Klassen viel unproblematischer. Die SuS wissen immer, was sie machen können und haben alle Materialien.
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Ich stehe nur vor der Unterrichtseinheit einmal am Kopierer und habe während der Einheit kaum noch Planungsarbeit.
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SuS werden zunehmend sicher in der Planung ihrer Unterrichtsstunde, wissen, wo sie Hilfe finden und sind es mittlerweile (nach 1, 5 Jahren) gewohnt, ihre Unterrichtsstunde selbst zu verantworten.
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Wirklich niemand fragt mich mehr, was er machen soll.
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In meinen Klassen hat sich eine tolle Feedbackkultur etabliert. SuS geben sich gerne untereinander Feedback und fordern es zunehmend ein.
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Unterricht mit dem Ivi-Board ermöglicht immer Differenzierung. Mit Kindern, die einen sonderpädagogischem Förderbedarf haben, bespreche ich zu Beginn bestimmte Ziele und markiere sie.
Was bleibt problematisch?
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SuS glauben meiner Erfahrung nach zu schnell, dass sie Ziele erreicht zu haben.
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Es bestimmt immer die Gefahr, dass SuS in einen „Abarbeitungsrausch“ kommen und die Bearbeitung von Aufgaben (Arbeitsblättern) im Vordergrund stehen.
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Es gibt wenige SuS, die viel Planungshilfe benötigen und weiterhin wenig eigenes Interesse an Feedback haben.
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Ich möchte mehr Ziele finden, bei denen gemeinsam geplant werden muss und ein Produkt entstehen kann. So könnten SuS unterschiedliche Stärken/Fähigkeiten einbringen und müssten auf einem höheren Nivau planen und kollaborieren.
Natürlich ist das Ivi-Board noch keine Revolution des Unterrichts und nur ein erster Schritt hinsichtlich agileren Lernens in der Schule. Mit dieser Methode versuche ich aktuell im bestehenden System den Schülern mehr Eigenverantwortung zu übertragen. Dennoch sind die Lernziel meist vorgegeben, weil ich mich an Bildungspläne und zentrale Lernüberprüfungen halten muss.
Wenn es mehr Spielraum im bestehenden Schulsystem für eigene Lernziele gäbe, könnte das Ivi-Board die nächste Stufe erreichen. Lernende könnten es zur Planung und Strukturierung eigener Lernziele nutzen und damit „echtes“ agiles Lernen realisieren. Dazu müsste es wahrscheinlich weiter modifiziert werden.
Hier können alle Vorlagen zum Ivi-Board unter CC-BY-NC-SA 4.0 geladen werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn Kolleginnen und Kollegen diese nutzen, weiterentwickeln und mir zurückmelden.
Eine komplette Unterrichtseinheit zu Fabeln, die mit dem Ivi-Board strukturiert wurde, findet sich im digitallearninglab.de.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
8 thoughts on “Wie sich mein Unterricht mit dem Ivi-Board verändert hat”
Beim Lesen hat mich dein Board an das Konzept von Hyperdocs erinnert, hab mir dann das Buch gekauft; interessant, weil es die Grundidee der offenen Unterrichtsplanung umsetzt, die den SuS gleich zu Beginn präsentiert wird und als Karte und Leitfaden dient.
https://www.cultofpedagogy.com/hyperdocs/
https://www.readpbn.com/pdf/The-HyperDoc-Handbook-Digital-Lesson-Design-Using-Google-Apps-Sample-Pages.pdf
https://goo.gl/r2EdCV
Dazu auch allenfalls auch die Tools:
https://learningview.org/
https://www.tes.com/lessons
Herzliche Grüsse
Daniel
Vielen Dank für die Hinweise und Links. Werde ich mir anschauen. Liebe Grüße
Hast du mal überlegt, solch ein Board als Grundlage für ein übergeordnetes Projekt zu nehmen? Beispielsweise könnte man eine Lesung mit begleitender Ausstellung zum Thema Fabeln organisieren. Einige deiner „Ziele“ müssten alle bearbeiten. Andere könnten arbeitsteilig erreicht werden, wobei die Gruppen sich gegenseitig informieren müssten, damit am Ende alle Experten für das Thema sind – Team-Meetings bzw. Lernen durch Lehren.
Das brächte Differenzierung, Kollaboration, einen sinnstiftenden Zusammenhang und ein Produkt mit Termin und Präsentationsmöglichkeiten. Deine „Ziele“ werden zu notwendigen Etappen auf dem Weg zu einem realen Produkt.
Herzliche Grüße Thomas
Das sind total spannende Gedanken, vielen Dank für deinen Kommentar. Werde ich auf jeden Fall gedanklich weiter bewegen.
Ich bin total begeistert von dem Teamboard, da es eine verständliche, differenzierte Übersicht für L und SuS ist. Wie kann ich an eine Blancoversion für ein Teamboard gelangen?
Viele Grüße
Ulrike
Liebe Ulrike, herzlichen Dank für deine wertschätzende Rückmeldung. Am Ende des Artikels habe ich die Vorlagen zum Download als Word-Dateien verlinkt. LG Marcus
Danke, auch für die tolle Inspiration durch Ivi-education
Sehr gerne!