Da ich Erklärvideos erstelle und in sozialen Netzwerken über meine Ideen und Erfahrungen berichte, entsteht vielleicht der Eindruck, dass ich meinen Unterricht schwerpunktmäßig mit Erklärvideos gestalte. Tatsächlich unterrichte ich ungefähr eine Unterrichtseinheit im Schulhalbjahr mit Erklärvideos und nutze beispielsweise die Methode des Flipped Classroom. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen ist die Erstellung von Erklärvideos und darauf abstimmten Lernmaterialen sehr aufwändig. Ich habe bei einer vollen Lehrerstelle nicht die Zeit, diese für jede Unterrichtseinheit zu erstellen. Zum anderen halte ich die Arbeit mit Erklärvideos nicht immer für geeignet und die beste Methode. Eine sehr differenzierte Sicht auf die Arbeit mit Erklärvideos mit der Methode des Flipped Classroom findest man z. B. bei Christian Spannnagel, oder Sebastian Schmidt.
Projektlernen finde ich sehr interessant und habe nach einer Möglichkeit gesucht, dies in einer Unterrichtseinheit unter den Bedingungen, die an meiner Schule gegeben sind und die sich in einer digitalisierten Welt eröffnen, umzusetzen. Ich unterrichte u. a. Psychologie in den Klassen 12 und 13 und bin dort nicht an einen vorgegebenen Lehrplan gebunden. Zudem gibt es an meiner Schule in diesem Fach keine Vergleichsarbeiten, die zu einem festen Zeitpunkt geschrieben werden müssen. Ich bin nur dazu verpflichtet eine Klausur im Halbjahr schreiben zu lassen. Das Unterrichtsfach Psychologie wird von den Schüler*innen gewählt, alternativ können sie auch Pädagogik anwählen. Diese Bedingungen erschienen mir geeignet, um Projektlernen anzubieten, in dem die Schüler*innen an eigenen Fragestellungen arbeiten können.
Konkret habe ich das Projekt in einem Kurs (12.Klasse) mit 31 Schüler*innen im zweiten Halbjahr gestartet. Uns standen eine Doppelstunde (90 Min) pro Woche und insgesamt 8 Wochen zur Verfügung. Für mich war klar, dass ich das Projektlernen nur umsetzen kann, wenn die Schüler*innen nicht noch zusätzlich eine Klausur schreiben müssen, sondern die Lernergebnisse als Klausurersatz gewertet werden. Ich habe das mit meinem Kurs besprochen und nach ein klein wenig Überzeugungsarbeit haben sich alle darauf eingelassen.
Um Anregungen für eigene Fragestellungen zu bekommen, haben meine Schüler*innen am Tag der offenen Tür der Psychiatrie des Universitätsklinikums Eppendorf teilgenommen. An diesem Tag gab es neben Vorträgen zu verschiedenen Themen auch die Möglichkeit, mit Betroffenen diverser psychischer Erkrankungen und deren Ärzten zu sprechen, Fragen zu stellen und ins Gespräch zu kommen.
In der Projektarbeit konnten die Schüler*innen alleine oder in Partnerarbeit an einem selbst gewählten Thema und einer eigenen Fragestellung arbeiten. Für einige haben sich Fragestellungen aus den Eindrücken der genannten Veranstaltungen ergeben, andere haben sich ganz anderen Themen gewidmet. Ziel der Projektarbeit war, dass die Schüler*innen ein Lernprodukt erstellen, dass ihre Beschäftigung mit der eigenen Fragestellung verdeutlicht. Das Lernprodukt konnte in analoger oder digitaler Form erstellt werden. Bis auf eine Schülerin haben sich alle für ein digitales Lernprodukt entschieden.
In der ersten Doppelstunde habe ich verschiedene Möglichkeiten für digitale Lernprodukte gezeigt. Zur Verfügung standen 16 schuleigene iPads mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Apps und WLAN. Die Schüler*innen fanden dabei besonders die Erstellung von „digitalen Zeitschriften“ mit Adobe Spark Page, digitale Präsentationen und die Erstellung von Erklärvideos interessant. In den restlichen Doppelstunden hab ich den Schüler*innen Arbeitszeit gegeben und sie nur beraten, wenn sie Hilfe eingefordert haben. Ein Team hat Magersucht thematisiert und dazu einen Film mithilfe eines Schülers gedreht, der nicht im Kurs war. In Absprache mit mir mussten diese Schülerinnen nicht in jeder Unterrichtsstunde anwesend sein, da sie außerhalb der Schulzeit gearbeitet haben. Alle anderen waren in den Schulstunden präsent.
Rückblickend konnte ich beobachten, dass nur wenige Schüler*innen die Zeit im Unterricht effektiv genutzt haben. Das mag an der Zeit (Montag 1. und 2. Stunde) oder der großen Gruppe gelegen haben. Trotzdem sind viele zu äußerst interessanten und tollen Lernprodukten gekommen, weil sie zu Hause viel Zeit in ihr Lernprodukt investiert haben. Es sind zum Teil ganz persönliche Produkte entstanden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Es gab aber auch Schüler*innen die mit der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse einverstanden waren, einige Lernprodukte konnte ich deshalb veröffentlichen.
Hier hat ein Schüler sich mit dem Thema „Intelligenz“ beschäftigt und dazu ein Erklärvideo erstellt. Diese Schülerin hat eine „digitale Zeitschrift“ zu posttraumatischen Belastungsstörungen erstellt und diese Schülerin einen Animationsfilm zur Psychopathie. Einige haben für ihre Arbeit außerschulische Experten interviewt oder sogar versucht empirische Erhebungen durchzuführen. Die Vielfalt hat mich beeindruckt und besonders gelungen fand ich Produkte, die zumindest aus meiner Sicht zur Persönlichkeit der Lernenden passten.
Das Einsammeln der digitalen Lernprodukte war für mich als Lehrperson anspruchsvoll (verschiedene Formate usw.), die Bewertung noch viel herausfordernder. Ich habe versucht unterschiedliche Bewertungskriterien für verschiedene Lernprodukte zu erstellen, um den Schüler*innen gerecht zu werden. Da ich zu Beginn der Einheit nicht wusste, was die Lernenden machen, konnte ich diese nicht vorher transparent machen. Das fand und ich finde ich unglücklich.
Inhaltlich war die Bewertung ebenfalls für mich sehr anspruchsvoll, da ich mich in eine Vielzahl von Themen einarbeiten musste. Bei der Auseinandersetzung mit den Produkten der Schüler*innen habe ich festgestellt, dass einige inhaltlich nicht genug „Tiefgang“ hatten. Ob eine intensivere Auseinandersetzung in einem stärker vom Lehrer geleiteten/strukturierten Unterricht stattgefunden hätte, ist für mich eine offene Frage. Trotzdem war die Bewertung der Lernprodukte für mich deutlich angenehmer (wenn auch nicht weniger zeitaufwändig) als die Durchsicht einer Klausur. Das liegt mit Sicherheit nicht nur daran, dass ich Korrigieren hasse, sondern an der Vielfalt der Themen und Gestaltungsformen. Nach meinen ersten Erfahrungen nehme ich für mich mit, dass die Formulierung der Leitfrage für die Arbeit der Lernenden zu Beginn stärker fokussiert werden muss. In einem Videobeitrag berichtet Bob Blume davon, dass er Fragestellungen einfordert, die man nicht googlen kann. Das finde ich sehr interessant.
Ernüchternd ist allerdings, dass die Schüler*innen eine Fortsetzung der Projektarbeit im weiteren Unterricht abgelehnt haben. Einen weiteren Kurs konnte ich gar nicht erst dafür begeistern. Ihre Begründung war so einfach wie naheliegend. Es war ihnen schlicht zu viel Arbeit. Viele gaben an, dass diese Arbeitsform bereichernd war und sie viel mitgenommen haben. Die Vorbereitung auf eine Klausur sei allerdings wesentlich weniger arbeitsaufwändig und das war für sie entscheidend. Vielleicht treffe ich hier auch auf Grenzen im System Schule, so wie sie derzeit gestaltet ist. Ich frage mich auch, was passieren würde, wenn alle (oder viele) Lehrer auf Projektarbeit setzen und die Schüler*innen in jedem Unterricht an eigenen Fragestellungen arbeiten. Wollen sie das? So wie Schule derzeit strukturiert ist, denke ich eher nicht. Wie hätte sich mein Kurs entschieden, wenn er nicht erst in Klasse 12, sondern schon in der 1. Klasse projektorientiert gelernt hätte? Wie kann ich Projektlernen in Fächern einsetzen, in denen ich an den Lehrplan und an Vergleichsarbeiten zu festen Zeitpunkten gebunden bin? Wie schaffe ich, dass Lernende die Unterrichtszeit besser nutzen, um weniger zu Hause arbeiten zu müssen?
Für meine Lehrertätigkeit nehme ich sehr viel aus dieser Unterrichtseinheit mit, hab Lust Dinge zu verändern, weiter zu entwickeln und Antworten auf meine Fragen zu finden. Dabei freue ich mich auf Unterstützung, Feedback und konstruktive Kritik.
6 thoughts on “Projektarbeit und digitale Lernprodukte – Ein Erfahrungsbericht”
Interessanter Erfahrungsbericht!
Hier ein paar Überlegungen dazu: Ich bin mir nicht sicher, ob ich einen Kurs in Psychologie mit Psychopathologie/Psychiatrie beginnen würde. Psychologie als Lehre von der Bewusstseinstätigkeit und Gefühlswelt , als Lernpsychologie etc würde mir näherliegen zum Einstieg. Ich fände es daher interessant zu erfahren, was dich zu deiner didaktischen Auswahl veranlasst hat.
Du schreibst, du hättest nicht vorher deine Bewertungskriterien transparent machen können, weil die SuS ja unvorhergesehene Fragen und Arbeitsvorhaben bzw. „Lernprodukte“ hatten. Ich habe in meinen Projekten immer ein von Inhalten und Präsentationsformen unabhängigen vorher mit den SuS besprochenen Bewertungskriterienkatalog geteilt. Das geht gut, wenn man sich klarmacht, dass es nicht auf die Gegenstände 1. Ordnung und „richtige“ Antworten auf noch unbekannte Fragen sind, die bewertet werden, sondern Kompetenzen, wie z.B. kritisches Denken, Multiperspektivität, Kohärenz der Darstellung etc.pp. und die Qualität der Durchdringung des Gegenstands und die Bewältigung der selbstgestellten Aufgabe daran. Da die Formen der Präsentation auch nicht unendlich sind, kann man im Laufe der Zeit selbstverständlich bestimmte Qualitätsanforderungen an Textproduktion/Videoproduktion/Blog etc. herausarbeiten und sogar in eine Zensuren-Matrix einordnen. Eine ganz allgemeine Anregung zu Bewertungskriterien, die man ohne Probleme vorher mit den SuS teilen kann findet man z.B. auf S. 45 meines Hefts „Globales Lernen. Aspekte einer Postwachstums-Ökonomie“ – der Handreichung zur Projektarbeit mit Blogs
http://li.hamburg.de/publikationen/5307326/globales-lernen-postwachstum/
Dort findet man auch ein mehrteiliges Kapitel „Didaktisch-methodische Prinzipien und Hinweise“ für die Projektarbeit, die einem helfen können, dass die Gesamtgruppe und die Einzelarbeiten einen organisierten Zusammenhang bekommen, viel kollaborativ gearbeitet wird – obwohl jeder an seiner eigenen Fragestellung arbeitet -, und man die SuS nicht alleine vor sich hin arbeiten lässt, um erst am Ende festzustellen, dass zu wenig „Tiefgang“ gewesen ist. (S. 17-31). Außerdem ein sehr aufschlussreiches Interview mit dem projekterfahrenen Lehrer Max v. R. zu Erfahrungen und Tipps (S. 38-42)
Vielen Dank für deine Rückmeldung und die sehr konkreten Tipps. Einiges hatte ich schon gelesen, allerdings erst nach der Unterrichtseinheit. Die Einheit war nicht der Einstieg in den Kurs, wir haben vorher schon ein halbes Jahr zusammen gearbeitet. Für die Projektarbeit war mir wichtig, dass ich reale Begegnungen schaffe, aus denen eigene Fragen erwachsen können. Der Tag der offenen Tür am UKE schien mir da geeignet und war tatsächlich für viele Schüler*innen auch Inspiration für eigene Fragen/Anliegen.
Über die Bewertungskriterien hatte ich mir schlicht nicht genug Gedanken gemacht. Für die Formen der Präsentation habe ich jetzt einige Qualitätsanforderungen entwickelt, davon werde ich beim nächsten Mal profitieren. Der Entwicklung von Kriterien, die von Inhalten und Präsentationsformen unabhängig sind, werde ich mich intensiver widmen müssen. Auch die Gestaltung der Präsenzphase muss ich überdenken, dafür hast du mir Stoff gegeben.
„Rückblickend konnte ich beobachten, dass nur wenige Schüler*innen die Zeit im Unterricht effektiv genutzt haben“
Das war auch bei mir immer einer Problem. Etwas besser hat das mit dem kurzen „Standup“ aus Scrum zu Beginn der Stunde funktioniert (Todo, Doing,Done, Was haben wir letzte Woche erreicht? Was aus welchen Gründen nicht? Was ist das Ziel für diese Woche? etc.). Neben einer teilweisen guten Reflexion der SuS über Hindernisse/ Schwierigkeiten/ Erfolge usw. führte diese Methode zu mehr Verbindlichkeit. Auch die Visualisierung über padlet war dafür hilfreich.
Sowohl Standup als auch Kanban im padlet bewerteten die SuS (eher) positiv. Sie hatten nicht das Gefühl, dass ich das als Kontrolle ihres Arbeitens nutze (naja, vielleicht ein wenig :-))!
Du bist da schon weiter und besser organisiert als ich zum Zeitpunkt dieser Unterrichtseinheit. Aktuell versuche ich die Arbeit mit einem Teamboard zu strukturieren, dass Arne Sorgenfrei und ich entwickelt haben. So sieht das aktuell aus:https://www.dropbox.com/s/wsed2cbh4dyz7w7/Iviboard.pdf?dl=0
Ich arbeite in meiner aktuellen Unterrichtseinheit (5. Klasse, Deutsch) damit. Wenn ich genug Erfahrungen gesammelt habe, berichte ich darüber.
Tolle Idee! Vor allem für Klasse 5! Habe ich mich noch nicht getraut. Halte mich unbedingt mal auf den Stand.
Evtl. können wir ja mal über ein schulübergreifendes Projekt nachdenken? Könnte spannend sein.
Sehr gerne. Ein schulübergreifendes Projekt fände ich überaus reizvoll. Wir sammeln beide Erfahrungen und können dann mal konkreter überlegen, wie das gehen könnte.